Quantcast
Channel: ETH-Klimablog » Tim Reutemann
Viewing all articles
Browse latest Browse all 7

Was ist eigentlich eine Tonne CO₂?

$
0
0

Ideago_teaser161Um CO₂-Emissionen zu reduzieren wäre es theoretisch am effizientesten, gäbe es nur einen einzigen, weltweit gültigen Preis für eine Tonne CO₂. Dann würde die Tonne dort zuerst reduziert, wo es am billigsten ist. Es läge am Markt herauszufinden, ob das nun der brasilianische Regenwald, das indische Stromnetz oder Schweizer Heizungen sind. Klingt toll. Nur: Was ist eigentlich eine «Tonne CO₂»? In diesem Beitrag möchte ich die Verwendung dieser Messgrösse in einigen der heute existierenden CO₂-Handelsmechanismen diskutieren.

 

Wie CO₂-Reduktionen berechnet werden

CO₂ ist ein unsichtbares Spurengas, das sich in der Atmosphäre anreichert. Und eine CO₂-Reduktion ist die Abwesenheit von eben diesem Spurengas – weniger greifbar geht es kaum. Diese Abwesenheit von CO₂ muss durch den Vergleich einer Messung mit einem vollständig hypothetischen Szenario berechnet werden. Um einem derartigen Abstraktum einen ökonomischen Wert zu geben, bedarf es einer Menge Buchhaltungsregeln. So «nerdig» mein Thema «CO₂-Buchhaltung» auch klingt – es ist das Herzstück der globalen Treibhausgas-Reduktionsbemühungen.

Grafik_Emissionsreduktion

Eine Emissionsreduktion besteht immer aus hypothetischen Referenz-Emissionen und gemessenen Emissionen.

 

Eine Tonne CO₂ – viele buchhalterische Konzepte

Nehmen wir drei konkrete Beispiele für das, was wir gemeinhin «eine Tonne CO₂» nennen:

  • Die Kyoto-Länder haben sich zu Emissions-Reduktionen verpflichtet (Kyoto-Mechanismus). Berechnet werden die Reduktionen anhand eines Inventars aller physisch innerhalb der Landesgrenzen emittierten CO₂-Mengen, die jährlich mit dem Reduktionsziel verglichen werden. Mit Importgütern assoziierte Emissionen werden entweder im Herstellungsland angerechnet oder gar nicht, falls die Güter in einem Entwicklungs-, Schwellen- oder sonstigen Nicht-Kyoto-Land hergestellt werden.
  • Zusätzlich zu den regulären Kyoto-Tonnen kann der «Clean Development Mechanism» (CDM) ebenfalls Emissionsreduktionen verbuchen. Solche Tonnen stammen aus Projekten in Entwicklungs- und Schwellenländern, etwa einer Windfarm in Indien. Die CO₂-Reduktion errechnet sich aus der Strommenge in Megawattstunden (MWh), die die Windfarm herstellt, und dem durchschnittlichen CO₂-Ausstoss pro MWh Stromproduktion in Indien. Das Referenzszenario wird dabei immer so gewählt, als ob ohne das Projekt genau gleich viel Strom produziert worden wäre wie mit dem Projekt tatsächlich produziert wurde.
  • Unter einem neuen Mechanismus (REDD+) (siehe dazu frühere Blogbeiträge 1,2) sollen nun auch Emissionsreduktionen anrechenbar werden, die durch eine verminderte Rodung von tropischen Wäldern zustande kommen. Die Rechnung basiert auf dem Kohlenstoffgehalt der Wälder, die CO₂ speichern, und einem langfristigen Referenzszenario der Entwaldung. Rhetorisch wird dieses Szenario als «realistisch» bezeichnet – tatsächlich handelt es sich dabei um Verhandlungsergebnisse. Realistische, langfristige makroökonomische Modellierungen gehören ins Reich der Phantasie. Die tatsächliche Entwaldung wird dann gemessen und die Differenz als «Emissionsreduktion» ausgewiesen. Die mit der Entwaldung assoziierte landwirtschaftliche Produktion fliesst dabei nicht oder nur marginal in die Buchhaltung ein.

Eine Tonne ist eine Tonne ist eine Tonne?

In allen oben genannten und vielen weiteren Fällen verwenden die Buchhaltung und die Rhetorik stets die Einheit der «Tonne CO₂». Wenn jedoch zwei CO₂-Buchhalter aus unterschiedlichen Sektoren über Bäume und «Windmühlen» diskutieren, mutet das Gespräch nicht selten wie ein Dialog zwischen Don Quijote und Sancho Panza an – die beiden reden aneinander vorbei und sehen in ihrer realen Umwelt ganz unterschiedliche Konzepte und Probleme – insbesondere wenn es um die Anrechnung der Güterproduktion geht. Selbst wenn eines Tages der Traum der Umweltökonomen wahr werden und ein globaler Preis für «eine Tonne CO₂» existieren sollte – es wäre doch nur ein einheitlicher Preis für etliche unterschiedliche buchhalterische Konzepte, die bestenfalls lose mit physikalischem CO₂ assoziiert sind.

Das bedeutet jedoch nicht, dass wir alle Kompensationsmechanismen verwerfen sollten. Die existierenden Mechanismen sind trotzdem das beste und effizienteste Mittel aller Zeiten, um ein globales öffentliches Gut wie die Reduktion von Treibhausgasen zu finanzieren. Wir sollten nur damit aufhören, die «Kompensationen» eins zu eins mit unserem eigenen Ausstoss zu verrechnen. Tatsächlich wird dieser Weg von der Schweizer Politik teilweise verfolgt, die keine Anrechnung von ausländischen Reduktionen auf das Inlands-Emissionsziel mehr erlaubt. Nur die Unterstützung der Entwicklungsländer in ihren Reduktionsbemühungen ist dabei leider weitgehend auf der Strecke geblieben und erfolgt nun wieder mehrheitlich über die weniger effiziente und deutlich geringere direkte Projektfinanzierung. Schade – denn obwohl wir Mühe haben, verschiedene Reduktionen ineinander umzurechnen, bleibt es wahr, dass es für die Atmosphäre nicht darauf ankommt, ob eine Tonne CO2 in der Schweiz, in Indien oder in Brasilien emittiert wird.

(1) Blogbeitrag: CO2-Reduktion durch Waldschutz

(2) Blogbeitrag: Rolle der Wälder in Klimaverhandlungen

 

Zum Autor

Tim Reutemann (früher Schloendorn) ist Doktorand in Umweltökonomie und -politik an der ETH Zürich. In seiner aktuellen Forschung erarbeitet er Vorschläge zur Verbesserung und Harmonisierung der Berechnungsgrundlagen von CO₂-Einsparungen aus verschiedenen Projekttypen. Persönliches Zitat und Biografie


Viewing all articles
Browse latest Browse all 7

Latest Images

Trending Articles





Latest Images